Brügge 05.03. - 09.03.2011

 

Zentrum jeder mittelalterlichen Stadt ist der Marktplatz. Beginnen wir unseren Spaziergang durch diese pulsierende Stadt also von der Mitte aus.

Auf dem reichgeschmückten Sockel von 1887 stehen Jan Breydel und Pieter de Coninck, zwei Freiheitskämpfer, die Anfang des 14. Jahrhunderts gegen die Franzosen gekämpft haben. Dominiert wird der etwa 1 Hektar große Platz vom Belfried, einem Glockenturm der aber nicht zu einer Kirche gehört, sondern ein weltliches Symbol für Freiheit und Reichtum ist. Für die wohlhabenden mittelalterlichen Städte Flanderns ist so ein Turm typisch. Bis heute ist er das Wahrzeichen der Stadt und wegen seiner Höhe von über 80 Metern ein guter Wegweiser im Gewirr der Altstadtgassen.

Wer genügend Kondition hat, kann über eine Wendeltreppe knapp 400 Stufen bis zur obersten Aussichtsplattform aufsteigen und wird dafür mit einem großartigen Blick über die Altstadt belohnt. Tagsüber geben 47 Bronzeglocken mit verschiedenen Melodien die Zeit an.

Der Gouverneur der Provinz West-Flandern residiert im neogotischen Provinzialratsgebäude, welches, mit Blickrichtung auf den Belfried, die linke Seite des Marktplatzes einnimmt.

Der Marktplatz ist umstanden von zahlreichen prächtigen Häusern deren Ursprung z.T. im 15. Jahrhundert liegt und in denen heute gemütliche Cafes und Restaurants zum einkehren und beobachten einladen.

Wir verlassen den Marktplatz und tauchen ein in das Gewirr mittelalterlicher Straßen und Gassen.

Nur wenige Schritte vom Markt entfernt liegt ein weiterer eindrucksvoller Platz, Burg genannt, mit dem Brügger Rathaus und seiner Fassade aus dem 14. Jahrhundert, die biblische Gestalten und bedeutende Personen aus der flandrischen Geschichte zeigt. Links daneben, die alte Kanzlei mit ihrer Renaissancefassade aus dem 16. Jahrhundert.

Ebenfalls am Burgplatz zu finden ist die Basilika des Heiligen Blutes mit einer Unterkirche aus dem 12. und einer oberen Kapelle aus dem 15. Jahrhundert, deren Inneres im 19. Jahrhundert neugotisch umgewandelt wurde.

Die Probstei, ein barocker Prachtbau aus dem 17. Jahrhundert, verbindet den Markt mit dem Burgplatz.

Von links: die Flagge der Region Flandern, dem Königreich Belgien und der Stadt Brügge.

Das Brügger Stadtwappen, gehalten von Bär und Löwe, zeigt einen blauen Löwen auf Rot und Silber, den Farben der deutschen Hanse.

Gehen wir weiter und halten die Augen auf...

... überqueren zahlreiche Kanäle, die hier nicht Grachten sondern Reie genannt werden...

... biegen mal linksrum und mal rechtsrum...

Man kann sich im Labyrinth der mittelalterlichen Gassen ganz prima verlaufen, sollte dies zum Prinzip erklären und sich bewußt darauf einlassen. Den "planlosen" Bummler erwartet an jeder Ecke etwas Sehenswertes, ansonsten hilft ein guter Stadtplan und die Orientierung anhand der zahlreichen unverwechselbaren (Kirch-)Türme.

Hier der Belfried...

...ein Turm des Provinzialratsgebäudes...

...der 122 Meter hohe Turm der Liebfrauenkirche...

...der Turm der Sankt-Salvator-Kathedrale...

...und dieser schlanke Turm gehört zur Poortersloge, einem mittelalterlichen Versammlungsort der Brügger Bürgerschaft, am Jan Van Eyckplein.

Jan van Eyck war einer der ganz großen Maler des flämischen Spätmittelalters, man denke an den Genter Altar. Er starb 1441 in Brügge und von seinem Denkmal überblickt er diesen herrlichen kleinen Platz an der Poortersloge.

Wieder nur ein paar Schritte entfernt, am Oosterlingenplatz, steht ein Denkmal für den Deutschen Hans Memling, der, am Main geboren, ein weiterer berühmter Maler der niederländischen Schule war. Auch er starb in Brügge 1494.

Wo wir gerade bei der Kunst und den Künstlern angelangt sind; einer der wertvollsten und erhabensten Kunstschätze in Brügge ist sicherlich die "Mutter mit dem Kinde" aus weißem Marmor, aufgestellt über dem rechten Seitenaltar in der Liebfrauenkirche. 1506 von einem Brügger Kaufmann seiner Pfarrgemeinde geschenkt, nachdem er die Madonna in Italien von Michelangelo (!) erworben hatte.

Ein zeitgenössischer Künstler, der Bildhauer Rik Poot, hat das beeindruckende Kunstwerk "Die vier apokalyptischen Reiter", zwei davon sind nachstehend zu sehen, im Arentshof aufgestellt.

In den zahlreichen Galerien der Stadt findet sich Kunst aus verschiedenen Epochen, für jeden Geldbeutel und Geschmack.

Kunstgenuß macht mich immer hungrig und durstig und daß auch diese Bedürfnisse in Brügge befriedigt werden, will ich nun zeigen. Vorab eine Warnung: die nachfolgenden Bilder sind für Menschen, die einen Teil ihres Lebenszeit mit Kalorienzählen, BMI-Tabellen und Leibesübungen verbringen, nicht geeignet!

Bier ist in Belgien, ähnlich wie in Bayern, Grundnahrungs- und Genußmittel, welches, nach letzten Zählungen, in über 800 verschiedenen Sorten gebraut wird.

Meine Favoriten, die Trappistenbiere Chimay bleue und das Grimbergen dubbel sind auf dem obigen Bild nicht drauf, finden sich aber in dieser Vitrine, in der alle Gerstensäfte Belgiens versammelt sind.

Und dann wäre da noch... Schokolade!

Kandierte Früchte!

Gebäck!

Noch mehr Gebäck!

Fruchthütchen!

Und natürlich Pralinen!

Mit reichlich "Brennstoff" versorgt, kann unser Rundgang ja weiter gehen.

Das mittlere schwarze T-Shirt empfiehlt zum belgischen Bier "Taste them all and you'll never Forget Belgium!"

Ich würde sagen: "Probiere alle und du kannst dich an Belgien nicht mehr erinnern!"

Oder es geht einem wie diesem Zeitgenossen hier...

Bekanntestes Brügger Textilhandwerk, die geklöppelten Spitzen, gibt es reichlich zu kaufen. Klöppeln, eine Fingerfertigkeit die ich bewundere, aber nicht verstehe.

Viel geklöppelt wurde sicherlich auch im Beginenhof. Obwohl über dem Eingangstor die Jahreszahl 1776 steht, wurde er bereits im Jahr 1245 von Margareta von Konstantinopel, Gräfin von Flandern, gegründet. Auch wenn der Brügger Beginenhof heute von Benediktinerinnen bewohnt wird, waren die Beginen in früheren Zeiten keine Nonnen, denn die Bewohnerinnen des Beginenhofs waren nicht verpflichtet ihr Leben im Kloster zu verbringen, oder ein Gelübde abzulegen. Sie waren ein unabhängiger Zusammenschluß von Frauen, die für ihren Lebensunterhalt z.B. Wäsche und Wolle wuschen.

Brügge ist auch ein lebendiges Zentrum für den Einkauf. Gerade am Samstag füllen sich die Haupteinfallstraßen in die Altstadt rapide mit den "Bruggelingen", wie sich die Einheimischen nennen, und den Bewohnern der Region. Etwa 4 Millionen Touristen im Jahr kommen noch dazu. Wenn man jedoch nur wenig von den Hauptstraßen abweicht, findet man oft ein ganz anderes, ruhiges und teilweise menschenleeres Brügge vor.

Zur Abwechselung mal wieder ein paar Hauptsehenswürdigkeiten wie das Sint-Jans-Hospital, welches, bereits im 12. Jahrhundert gegründet, nicht nur die Kranken, sondern auch Reisende beherbergt hat. Kranke wurden hier übrigens bis 1978 behandelt. Sehenswert sind die Krankensäle aus dem 13. und 14.Jahrhundert, die Krankenhausapotheke aus dem 17.Jahrhundert und das in die Krankenhauskapelle integrierte Hans-Memling-Museum, dem Künstler aus Seligensatdt am Main, dem wir schon zuvor begegnet sind.

Das Palais der Herren von Gruuthuse zeigt über dem Eingang ein Reiterstandbild des Lodewiijk (Ludwig) van Gruuthuse, berühmtester Sohn dieses berühmten Brügger Geschlechtes, Ritter im Orden vom Goldenen Vlies, Statthalter von Holland, Seeland und Friesland, Earl of Winchester, Prinz von Steenhuise, ...

Einer der lauschigsten Plätze in Brügge ist die Gegend rund um das Minnewater, am südlichen Altstadtrand. Umgeben von lieblichem Grün, finden wir, neben dem Beginenhof im Westen, ein altes Hafenbecken, einen Pulverturm (hier leider nicht im Bild), ein Schleusenhaus und immer ist der Blick auf den mächtigen Turm der Liebfrauenkirche gerichtet.

Nicht weit entfernt, wobei dieser Zusatz fast überflüssig ist, denn in der Brügger Altsadt ist nichts wirklich weit entfernt, liegt der große Platz 't Zand, der nicht nur eine riesige unterirdische Tiefgarage beherbergt, sondern auf dem der sehenswerte Springbrunnen des Künstlerpaares De Puydt / Canestraro aufgestellt ist. Während die 4 badenden Schönheiten die historischen flandrischen Städte Brügge, Gent, Kortrijk und Ieper darstellen, zeigen uns die Fischer die enge Verbindung der Stadt Brügge mit dem Meer.

In Brügges Seitenstraßen findet man zahlreiche kleine Häuschen, die meist nur aus einer niedrigen Tür, einem Fenster und einem Dachgiebel bestehen. Hier handelt es sich oft um mittelalterliche Senioren- und Armenwohnungen, die von den Handwerkszünften, aber auch von Privatleuten gestiftet wurden. Heute werden diese Häuschen vom Sozialamt verwaltet und die Bewohnerstruktur ist nach wie vor sehr ähnlich.

Armut und Reichtum lagen und liegen auch in Brügge nicht weit auseinander. Nahe dem Jan-van-Eyckplein liegt das Haus der Familie van der Beurze, deren Name noch heute der Inbegriff des Geldhandels ist. Das Foto zeigt einen Ausschnitt aus der prächtigen gotischen Hausfassade des 15. Jahrhunderts. Gleich nebenan gibt es noch eine Besonderheit im ältesten Privathaus der Stadt, das Frietmuseum. Hier wird dargestellt, wer aus flämischer Sicht die Fritten erfunden hat.

So eine prächtige und wohlhabende Stadt wie Brügge mußte natürlich auch gut geschützt werden. Wenn man die Altstadt, die wegen ihrer charakteristischen Form das "Brügger Ei" genannt wird, umrundet, folgt man den alten Stadtwällen, auf denen in früheren Zeiten zahlreiche Windmühlen ihre Arbeit verrichteten. 4 von ihnen sind geblieben und bieten heute, fein restauriert, einen schönen Anblick.

Die leuchtend rote Mühle trägt den treffenden Namen "De Nieuwe Papegaai".

Mächtige Stadttore kontrollierten den Warenzu- und Abfluß über den Landweg und dienten in unruhigen Zeiten der Verteidigung.

Zum Abschluß noch ein paar Bilder und Details die ich unkommentiert lassen möchte. Das eine oder andere Motiv haben wir bereits gesehen, anderes sein nur am Rande erwähnt. Ich empfehle dringend einen Besuch in dieser wunderschönen und gastlichen Stadt. Wer mit dem Auto anreisen möchte, sollte dies im Parkhaus am Hauptbahnhof Brugge Centraal abstellen. Dort kosteten, zumindest zum Zeitpunkt meines Aufenthaltes, 24 Stunden günstige 2,50 Euro! Wenn man von dort die stark befahrenen Ringstraße erst einmal überquert hat, kann man als Fußgänger sofort in die Altstadtgassen nahe des Minnewater einbiegen.


Besonders ans Herz legen möchte ich allen Besuchern einen großartigen Reiseführer, der nicht einmal teuer ist und so kompakt, daß man ihn jederzeit mit sich führen kann und der trotzdem mit umfangreichen Informationen, Altstadtplänen und 2 ausgewählten Rundgängen hervorsticht. Er heißt, wer hätte es gedacht: "Brügge - Die Perle Flanderns", Stadtführer mit 196 Farbbildern, der von Bob Warnier höchst informativ und trotzdem locker geschrieben und von Daniel de Klevith meisterlich fotografiert wurde, erschienen im Verlag Simon Sauer (ISBN: 978-3-940391-35-3). Einen besseren gedruckten Reisebegleiter kann ich mir nicht vorstellen.

Wer es tatsächlich bis hierhin geschafft hat, dem empfehle ich zur Belohnung noch einen Spielfilm, der zwar, aufgrund seines Genres, von der zeitweisen Darstellung äußerster Brutalität durchbrochen wird, aber gleichzeitig auch wunderschöne Filmaufnahmen vom vor allem nächtlichen Brügge enthält: "Brügge sehen... und sterben?", Universum Film GmbH, 2008, 103min., ab 16 Jahren.